Juni 2015
Schon weit gekommen, aber es geht noch mehr
Tandems der 2. Gruppe resümieren das erste Halbjahr von „Lebensweg inklusive“
Die weißen und schwarzen Steinchen auf dem überdimensionalen Damebrett zeigen, wie (unterschiedlich) weit die Studentinnen der 2. Gruppe von „Lebensweg inklusive“ seit dem Beginn des Programms im November 2014 gekommen sind. Während sich die einen noch eher am Anfang ihres gemeinsamen Lernprozesses fühlen, sehen sich die anderen schon auf der Mitte des Weges. Diese Positionen zu definieren ist Teil eines der Workshops, die der Hildegardis-Verein im Rahmen des Halbzeitseminares des innovativen Programms am 15./16. Mai im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn durchgeführt hat: wie die Figuren auf einem Spielbrett stehen die Mentees zu Anfang der Arbeitseinheit an gegenüberliegenden Seiten des sonnigen Tagungsraums und bewegen sich auf die Mitte zu. Der Punkt, an dem sie Halt machen, wird entsprechend auf dem hölzernen Damebrett mit den Spielfiguren markiert: So können sich auch die blinden Projektteilnehmenden später einen Eindruck verschaffen, wo sich die anderen positioniert haben.
Auch ein anderer Workshop der Tagung, der von Dr. Annette Barkhaus (Wissenschaftsrat) geleitet wird, verbindet Lernerfolge im Karriereprogramm mit persönlichen Entwicklungsfragen: Um zu erkennen, wo noch verborgene Stärken liegen – und welche das sind – verwenden die 22 Frauen verschiedene Materialien, um sich im buchstäblichen Sinne ein Bild von sich selbst zu machen. Die Ergebnisse sind ebenso divers wie eindrücklich. Bilder von Hindernissen, Zielen und Energiequellen können sich die Teilnehmerinnen zukünftig in Erinnerung rufen, wenn sie eine herausfordernde Aufgabe vor sich haben.
Während der Halbzeitbilanz tauschen sich die 11 Tandems in intensiven Gesprächen miteinander und mit ihren alten und neuen Co-Mentor/innen aus. Sie verabreden, wie häufig und auf welche Weise sie im kommenden halben Jahr Kontakt halten werden, wann und wo das biographische Interview mit dem/der Co-Mentor/in stattfinden wird und welche Schwerpunkte sie in ihrem Austausch setzen möchten. Erste inhaltliche Fragen zu Studium, Praktika und Berufswunsch sind ebenfalls Teil der Diskussionen. Auch die Co-Mentor/innen untereinander haben Gelegenheit, sich kennen zu lernen und über ihre Erwartungen und Ziele für das Projekt zu sprechen.
Die Kombination aus einem partnerschaftlichen, studentischen Tandem und der Beratung durch berufserfahrene Akademiker/innen, die als Co-Mentor/innen fungieren, ist innovativ. „Die Arbeit im Tandem, so zeigen auch die Erfahrungen in der 2. Projektgruppe, erlaubt es den Studentinnen, gleichzeitig beraten zu werden und zu beraten, sich Rückstärkung einzuholen und Rückstärkung zu geben: das setzt Dynamik im Sinne von ‚Empowerment‘ frei," so Birgit Mock, Geschäftsführerin des Hildegardis-Vereins. „Das zusätzliche Coaching durch die Co-Mentor/innen, die mit ihrem Wissen, ihren Kompetenzen und ihrem Erfahrungsschatz zur Verfügung stehen, intensiviert diese Wirkung.“
Positiv denken und handeln, auch beruflich immer etwas Neues wagen, nach vorne sehen, ist auch der Rat, den Co-Mentor Siegfried Saerberg, 53, beim Kamingespräch (ohne Kamin) an die anderen Projektteilnehmenden weiter gibt: der promovierte Soziologe und Künstler ist seit dem 20. Lebensjahr blind, hat sich von seiner Behinderung jedoch nicht entmutigen lassen. Er hat ein Studium absolviert, geheiratet, eine Familie gegründet, ein Buch geschrieben, Ausstellungen kuratiert und vieles mehr. „Ich bin eben einer, der sich vieles erstmal zutraut, auch wenn dann nicht immer alles nur perfekt läuft.“ Das auch dies zu Erfolg führen kann, ist eine Botschaft, die nicht nur bei den Studentinnen gut ankommt.