Juli 2014
Sich die Freiheit nehmen, neue Rollen auszuprobieren
Das Tandem-Programm „Lebensweg inklusive“ für Studentinnen mit und ohne Behinderung des Hildegardis-Vereins blickt auf erfolgreiches erstes Halbjahr zurück
Bonn, 23.07.2014. „Wir haben erlebt, dass es normal ist, verschieden zu sein“, so eine beteiligte Studentin am Ende des Halbzeittreffens, das am letzten Wochenende in Berlin stattfand. In intensiven Gesprächen haben die am Programm beteiligten 20 Studentinnen ihre ersten sechs Monate im Tandem ausgewertet. Das Peer-to-peer-Mentoring der studentischen Tandems steht dabei im Mittelpunkt der insgesamt einjährigen Lernerfahrung. Die Studentinnen sind gleichzeitig Mentee und Mentorin und arbeiten im Dialog an ihren Karriereplänen, reflektieren über Lebenspläne und die Definition von Erfolg und sie sind – so zeigte die Erfahrung der ersten Monate – auch über viele persönliche Themen im Gespräch: „Welche Barrieren stellen sich angehenden Akademikerinnen in den Weg?, Wie lassen sich eigene Stärken ausbauen?, Wie kann man souverän mit Schwächen umgehen?, Was will ich im (Berufs-)Leben erreichen?“
Begleitet werden die Studentinnen von sogenannten Co-Mentor/innen, berufserfahrenen Persönlichkeiten mit und ohne Behinderung, die jeweils über sechs Monate beraten, coachen, begleiten und Netzwerke zur Verfügung stellen. Dabei bringen sie sich auch mit ihrem persönlichen Lebensweg ein: sie stellen sich den Studierenden für ein narratives Interview zur Verfügung, in dem Barrieren und Stärken am Beispiel der eigenen Biografie zur Sprache kommen.
Auch Netzwerken will gelernt sein: Um Barrieren (und Hemmungen) abzubauen, auf andere Personen zuzugehen und diese auf eigene Karrierepläne anzusprechen, fand am zweiten Seminartag ein sog. „Speed Dating“ statt. Die Studentinnen stellten sich allen anwesenden Co-Mentorinnen vor und konnten ihnen Fragen zu beruflichen und akademischen Themen stellen. Die Vielfalt der beruflichen Hintergründe der Co-Mentorinnen bestimmte die Vielfalt der Themen: es gab Fragen aus dem kultur- und frauenpolitischen Bereich, zum Personalwesen, zur Freiberuflichkeit und zur Lehre sowie über die Hindernisse und Chance, die sich auf Lebenswegen eröffnen. Die Taktung des Speed-Datings war für die vielen Fragen fast zu kurz, so dass die anschließende Pause für intensive Nachbearbeitung genutzt wurde. Auch in den nächsten sechs Monaten können die Studentinnen jeweils alle Co-Mentorinnen ansprechen.
„Mit dem KompetenzTandem-Projekt betritt der Hildegardis-Verein Neuland auf der inklusiven Landkarte Deutschlands. Nach den ersten sechs Monaten Zusammenarbeit der Studentinnentandems können wir feststellen, dass sich unser innovativer inklusiver Ansatz bewährt“, so Eva M. Welskop-Deffaa, die für den Hildegardis-Vorstand die ehrenamtliche Projektverantwortung trägt. „Das Erleben von Vielfalt, Ähnlichkeit und Differenz fokussiert die Frage nach der eigenen Identität und der weiteren Lebensplanung. "
Den spezifischen Ansatz des Hildegardis-Programms würdigte auch Katja Urbatsch, Gründerin der gemeinnützigen Initiative „Arbeiterkind.de“, die die Erfolgsgeschichte ihres Vereins in einer Abendrunde vorstellte. Sie ermutigt Schülerinnen und Schüler aus Familien, in denen noch niemand studiert hat, zum Studium und unterstützt sie vom Studieneinstieg bis zu einem erfolgreichen Studienabschluss. Heute engagieren sich bei Arbeiterkind.de über 5.000 ehrenamtliche Multiplikator/innen in 70 lokalen Ortsgruppen. Frau Urbatsch gab den Studentinnen mit auf den Weg: „Lassen Sie sich nicht erzählen, dass Sie dies oder das nicht können – glauben Sie an sich und gehen Sie Ihren Weg.“ Sie selbst habe die Erfahrung gemacht, dass manche Barrieren nur deshalb Barrieren seien, weil man sie nicht kenne. Als Studentin der „ersten Generation“ will sie dazu beitragen, bei anderen diese Fremdheit abzubauen.
Das Projekt des Hildegardis-Vereins wird von Frau Prof. Dr. Mechthild Bereswill von der Universität Kassel und ihren Mitarbeiterinnen wissenschaftlich ausgewertet. Im Rahmen des Seminars stellten die Wissenschaftlerinnen den Ansatz der qualitativen Längsschnittstudie vor.